Dieser Beitrag erschien ursprünglich im Weblog von Heinz Wittenbrink.
Gibt es überhaupt Web Literacy? Handelt es sich dabei nicht um ein willkürliches Konstrukt?
Ich versuche so etwas wie einen doppelten Zugang zu dem Thema Web Literacy zu finden. Einerseits einen empirischen: Welche Kompetenzen, welches praktische Wissen haben Menschen und Gruppen, die im Web kommunizieren? Methodisch möchte ich mich dabei an Ethnomethodologie, Konversationsanalyse und Actor Network Theory orientieren. Ob dabei wirklich eine „Einheit“ gefunden werden kann, die man „Web Literacy“ nennen kann, ist eine offene Frage. Zunächst handelt es sich um ein heuristisches Konzept zur Definition von Forschungsfragen.
Andererseits hat der Begriff aber auch eine didaktische Funktion. Er bezeichnet etwas, das ich in meiner Arbeit zu vermitteln versuche, und zwar an angehende Journalisten und Kommunikatoren und auch an Menschen, die für die Webkommunikation in Unternehmen zuständig sind. In diesem Zusammenhang gibt es aktuell nach meiner Erfahrung—oder: in den praktischen Zusammenhängen, in denen ich arbeite—Kompetenzen, die man zusammenhängend vermitteln muss und auch kann. In meinem Post gestern habe ich versucht, diese Kompetenzen zu beschreiben. Konkret geht es um Fragen wie: Wie schreibe ich ein Blogpost? Wie und wo publiziere ich es? Welche Strategie, welche Ziele verfolge ich damit? Die Kompetenzen, die hier gefragt sind, sind nicht so sehr blogspezifisch, sondern sie sind ähnlich denen, die man für das Twittern oder die Verwendung von YouTube braucht, sie hängen mit den Eigenschaften der Umgebung des World Wide Web zusammen.
In welchem Verhältnis stehen bei der Web Literacy soziale und technische Kompetenzen zueinander?
Ich halte die Trennung von sozialen und technischen Kompetenzen für problematisch. Ich glaube nicht, dass es ein technisches Wissen gibt, das sich von einem sozialen Wissen sauber trennen lässt. Es gibt Eigenschaften von nichtmenschlichen Objekten, die für die Kommunikation im Web relevant sind, aber dieser Objekte werden, wenn man mit ihnen umgeht, selbst zu „sozialen Objekten“, zu dem, was Latour Aktanten nennt. Sie werden sozialisiert. Schon Pixel, Bits und Bytes sind soziale Konstrukte, auch wenn es sie ohne physikalische Eigenschaften nicht gäbe.
Sehr lax und vorläufig formuliert: Webkommunikation und Web Literacy hängen mit den Eigenschaften von programmierten und programmierbaren Systemen zusammen und mit der programmierten, automatischen Verarbeitung von Daten. Es gibt keine Webkommunikation ohne die Interaktion mit solchen Systemen. Web Literacy besteht aus Methoden (im Sinne der Ethnomethodologie), solche Systeme in der hypermedialen Kommunikation zu sozialisieren. Web Literacy hat Aspekte von dem, was man Human Computer Interaction nennt, aber in einem medialen Kontext (im Zusammenhang des Webs als eines globalen Hypermediums) und im Zusammenhang von menschlicher Interaktion (im Zusammenhang der asynchronen Kommunikation im Web, zu der eigene Formen von Mündlichkeit und Schriftlichkeit gehören).
In welchem Verhältnis steht Web Literacy zu dem Wissen, das professionelle Web-Entwickler oder Systemadministratoren haben?
Als Hypothese würde ich formulieren: Es gibt stufenlose Übergänge, Kontinuitäten, zwischen dem Wissen von Entwicklern und Administratoren und den Kompetenzen, die zur Kommunikation im Web nötig sind. Gerade weil zum Web die programmierte Verarbeitung von Daten gehört, gibt es keine Webkommunikation, bei der nicht auch Maschinen gesteuert werden, die Daten verarbeiten, und die kompetente Steuerung dieser Maschinen besteht eben darin, nicht einfach Knöpfe zu drücken oder Kommandos zu geben, sondern sie für neue Aufgaben zu verwenden, also zu „programmieren“. Dazu gehört ein Wissen über die Logik der Verarbeitung von Daten, das nicht davon abhängt, das jemand wirklich coden kann.
Kann man die drei Komponenten „Medienproduktion“, „Informationsmanagement“ und „Identitätsmanagement“ voneinander trennen?
Zu jeder realen Kommunikation im Web gehören alle drei Komponenten. Dabei könne alle drei Komponenten auf derselben Plattform stattfinden. Bei Twitter gibt es z.B. den Tweet als Äußerungsform oder Medium, die Timeline, die Liste und die Echtzeitsuche zum Informationsmanagement und das Followen sowie das Profil auf der Ebene der Vernetzung und des Identitätsmanagements. Twitter existiert aber nicht isoliert von anderen Formen und Plattformen der Webkommunikation, und man braucht ähnliche Kompetenzen wie für Twitter auch z.B. für das Bloggen oder in einem Social Network wie Facebook—in das man außerdem Tweets importieren kann.
In allen drei Gebieten gilt, dass es sich um soziale Aktivitäten in dem Sinne handelt, dass jede Aktion für andere verständlich und transparent sein muss. Auch eine Google-Suche ist eine soziale Handlung, etwas das verstanden und erklärt werden kann. Genauso ist eine Äußerung bei Twitter etwas, das kommunikative Vorgänger und Nachfolger hat.