Letzte Woche fand der erste Grazer Open Space des Web Literacy Lab statt. Auch diesmal wurde klar und deutlich: Zu Content Strategy und UX Design haben viele Menschen viel zu sagen. Hier ein kurzer Rückblick auf den ungezwungenen Event, die fachlichen Inhalte und angeregten Diskussionen.
Etwas nervös waren wir schon, ob alles klappen würde. Immerhin war es unser Pilot-Open Space – die erste Veranstaltung in Graz zum Thema Content Strategy und UX Design. Ziel war es, interessierte Menschen aus unterschiedlichen Disziplinen zusammenzubringen und ihnen eine Plattform zu bieten, um sich auszutauschen und voneinander zu lernen. Das Fazit vorweg: Ungezwungene, offene Formate funktionieren bei Webthemen einfach, das hat sich auch diesmal gezeigt. Trotz später Ankündigung und kaum Selbstmarketing fand sich eine partizipationsbereite Besuchergruppe ein, die unsere Speaker sinnvoll ergänzte und viel beizutragen hatte. Und es wurden Forderungen nach einer Wiederholung des Formats laut – das hat uns als Veranstalter natürlich besonders gefreut.
Drei Vorträge – Der User im Mittelpunkt
Nach der Begrüßung durch WLL-Projektleiter Heinz Wittenbrink gab es drei interessante Vorträge zu unterschiedlichen Themen: (1) Konrad Baumann und Informationsdesign-Studierende berichteten über ihre Usability-Studie großer österreichischer Unternehmenswebsites, (2) Judith Denkmayr nahm in ihrem Referat auf Content Strategy aus praktischer Agenturperspektive Bezug und (3) Christian Henner-Fehr erzählte über Theorie, Methodik und Praxis des Storytelling für Organisationen. Gemeinsam hatten die drei Speaker eines: Sie betonten jeweils den User als zentralen Bezugspunkt der Onlineaktivitäten von Organisationen. Es folgt ein Rückblick, weil Rückblicke Kontext geben, Gedanken und Gelerntes zementieren und weil ich Rückblicke mag.
Usability Testing österreichischer Websites
As just pointed out: Konrad Baumann, der User Experience Design, User Interface Design und Usability Testing unterrichtet, hat im Rahmen eines Projekts mit Studierenden eine empirische Erhebung zur Benutzerfreundlichkeit von österreichischen Websites durchgeführt. Die Studi-Gruppen durften sich jeweils drei Websites aussuchen. Die vorgestellten Cases waren oeticket.com, flyniki.com und morawa.at. Es wurde nach klassischen Methoden des Usability Testing vorgegangen: Die Versuchspersonen wurden aufgefordert, typische Aufgaben auf der Website zu lösen, z.B. Heraussuchen des günstigsten Fluges oder Verschieben von Artikeln in den Warenkorb. Dabei wurden ihre Aktivitäten im Browser aufgezeichnet und sie wurden aufgefordert, ihre Aktivitäten parallel zu kommentieren.
Ergebnis: Verlorene, verwirrte, verzweifelte User
Die vorgestellten Beispiele machten eines deutlich: Man kann als User an den (scheinbar) simpelsten Aufgaben scheitern. Wer wundert sich da noch, dass Nutzer frustriert Websites verlassen, wenn sie Informationen nicht schnell auffinden können auf ihre Aktionen kein Feedback bekommen oder einfach nicht verstehen, wie sie Aufgaben lösen können? Katastrophale Usability! Klar ist dabei eines: Das ist nicht die Schuld der User, sondern einzig und allein auf grauenvolle, komplizierte und unübersichtliche Webpräsenzen zurückzuführen. Baumann machte deutlich, dass Usability Testing eine Methode ist, die den Entwicklungsprozess von Websites begleitet und schnell Schwachstellen und Verbesserungspotenzial aufzeigen soll. Definitiv sollten zukünftig mehr Ressourcen in solche Tests investiert werden, um eine angemessen User Experience zu ermöglichen. Denn die Gleichung ist simpel: Schlechte Usability = User verlassen die Website = keine Umsätze über die Webpräsenz.
Content Strategy praktisch erklärt
Die Präsentation von Judith Denkmayr (@linzerschnitte auf Twitter) von digital affairs war für mich besonders interessant: Sie geht Content Strategy von der praktischen Seite an und trifft dabei den Nagel auf den Kopf. Ohne sich bisher (wissenschaftlich) mit der US-amerikanischen Disziplin beschäftigt zu haben, resultiert ihre Praxiserfahrung in denselben Handlungsempfehlungen und derselben Methodik: Content ist das wichtigste Business Asset im Web. Organisationen müssen wissen, wer sie sind und wofür sie stehen, um im Web erfolgreich zu kommunizieren. Sie brauchen klare redaktionelle Strukturen und Prozesse (Themenpläne, Redaktionskalender, Workflows), um ihre Publiaktionsaktivitäten langfristig organisieren zu können. Es muss Commitment in der Führungsetage und abteilungsübergreifende Kooperation geben, um strategische Webkommunikation zu implementieren.
Guter Content ist …
… laut Judith Denkmayr (und das deckt sich so ziemlich haargenau mit der Anforderungsdefinition von Erin Kissane (@kissane auf Twitter) in “The Elements of Content Strategy” für Webcontent):
- aktuell,
- klar,
- konsistent und stringent,
- präzise formuliert und
- userzentriert.
Tolle Cases mit tollen Inhaltsstrategien
Denkmayr zeigte viele tolle Beispiele, folgende drei haben mir besonders gut gefallen:
(1) CupCakes Wien hat über 18.000 Likes auf Facebook. Die Betreiberin des Konditorladens in Wien ist Fotografin und macht wunderbare Aufnahmen ihrer essbaren Kunstwerke. “Footporn zieht im Netz”, so Judith Denkmayr. Und wir alle wissen auch, dass schöne Fotos auf Facebook besonders gut funktionieren und wie wild geteilt werden.
(2) Biber ist ein Wiener Gratismagazin für Menschen mit Migrationshintergrund und bereitet dieses Thema endlich einmal nicht trocken, todernst oder redundant auf, sondern kritisch, politisch und am Puls der Zeit. So nämlich, dass es diese Menschen tatsächlich gerne lesen. 8.000 Likes auf Facebook, eine persönliche Community für junge Menschen mit News und Infos rund um alltägliche Probleme österreichischer MigrantInnen. Es ist menschennah, es ist humorig, es zieht einfach. Warum? Weil die Inhalte treffen.
(3) Joseph Brot gehört mittlerweile zur urbanen, jungen und hippen Wiener Szene wie Nerd-Brillen und Leinentaschen. Die Bäckerei in der Naglergasse bezeichnet sich als “Health Food Store” und 3.700 Menschen auf Facebook gefällt das. Fotoposting, Aktuelles und Persönliches sind auf der Facebook-Page zu finden. Und der Store kann sich vor Kunden kaum retten, die Ware geht buchstäblich weg wie warme Semmeln. Weil der Auftritt passt: menschennah, gesund, verantwortungsbewusst, kreativ und witzig.
Storytelling is everywhere
Was bereits auf der IAK12 des öfteren thematisiert wurde, hat auch Christian Henner-Fehr ganz konkret beim Open Space auf den Punkt gebracht: Menschen interessieren sich für Geschichten, sie geben ihnen Kontext und ermöglichen es, auch komplexe Sachverhalte in ansprechender Form zu verpacken. Storytelling wird immer wichtiger, insbesondere für Organisationen, die sich aus narrativen Prozessen generieren, wie wir seit Karl E. Weickund der Montreal School of Organizational Communication wissen.
Geschichten für und von Organisationen
Wovon ich bisher allerdings noch nie gehört hatte, ist eine Methodik von Raf Stevens(@rafstevens auf Twitter), die er in seinem Buch “No Story No Fans” (Leseempfehlung von Henner-Fehr!) erklärt: Er wendet Storytelling an, um die Key Messages und zentralen Werte einer Organisation herauszufinden, zu formulieren und den kommunikativen Aktivitäten zugrunde zu legen. Dabei werden narrative Interviews mit verschiedenen Mitgliedern der Organisation geführt, diese werden anschließend geclustert und die wichtigsten “Eigenschaften” oder “Themes” werden identifiziert – sozusagen die Key Messages der Organisation. Das erinnert stark an phänomenologische Forschungen im organisationalen Kontext, die sich häufig der theoriegenerierenden Analyse mittels Grounded Theory bedienen – wirklich interessant!
Transmedia Storytelling
Eines der besten Beispiele für Storytelling über alle Kanäle und Plattformen ist die Content Excellence-Strategie von Coca Cola. Auch Henner-Fehr führte sie in seiner Präsentation als Best Practice an.
Mit Transmedia Storytelling können auch User angesprochen werden, die früher mit einem spezifischen Medium (z.B. Buch) nicht erreicht werden konnten. Multimodalität ist das Zauberwort! Klassischer Fehler hierbei: Auf allen Kanälen und Plattformen werden dieselben Inhalte kommuniziert. Vor allem bei Storytelling muss die Geschichte dem Medium entsprechend aufbereitet werden, um die User zu animieren, sie weiterzuentwickeln.
Content Strategy des WLL
Aufgrund von Zeitmangel konnten Heinz Wittenbrink und ich unsere Content Strategy-Präsentation nicht mehr unterbringen, die findet sich allerdings auf Prezi. Und da ich mein Fazit schon zu Beginn vorweg genommen habe, bleibt wohl nur noch zu sagen: Danke und bis zum nächsten Mal!
Der WLL Open Space auf ustream
Alle, die den Event verpasst haben, können die Vorträge von Konrad Baumann und seinen Studierenden sowie von Christian Henner-Fehr online anschauen.